Gibt es das: evangelische Klänge? Im theologischen Wortsinn existieren sie ohne Zweifel: Klänge, die der frohmachenden Botschaft, dem Eu-angelium dienen. Aber auch im konfessionellen Sinn kann es typisch evangelische Musik geben: Lieder, die mit zentralen Personen der evangelischen Kirchengeschichte verbunden sind (Martin Luther, Paul Gerhardt, die beide wichtige Liedtexte geschaffen haben) und als Fanfaren des Protestantismus gelten („Ein feste Burg ist unser Gott“). Aber da sind es ja zunächst die Liedtexte, die Positionen markieren, die der evangelischen Christenheit besonders wichtig sind (z.B. die Rechtfertigung durch Gott allein). Inzwischen haben sich die Themen der Lieder ökumenisch stark angenähert, in den Liederheften zu den Kirchentagen und Katholikentagen finden sich viele gleiche oder ähnliche Lieder. Und im neuen Gotteslob wimmelt es nur so von „Ö“-Liedern (die wir also gemeinsam haben). In der Praise-music-Szene der Jüngeren und im Gospel spielt die Konfession ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Wie steht es jedoch abseits der Texte um die Klänge und Töne an sich? Wer wie ich selbst sowohl in evangelischen wie auch in röm.-kath. Gottesdiensten als Kantor und Organist tätig war, weiß: Ja, doch, da gibt es weiterhin Eigenheiten, die typisch sind für die verschiedenen Konfessionen. Und zwar nicht, weil es evangelische und katholische „Fugen“ und „Akkorde“ geben würde. Vielmehr deshalb, weil innerhalb der großen Konfessionen bestimmte unterschiedliche Epochen der Musikgeschichte vorgezogen werden: Während in den katholischen Gottesdiensten heute immer noch einstimmige gregorianische Musik aus dem ersten Jahrtausend der Musikgeschichte ertönt (z.B. als gesungenes lateinisches Glaubenbekenntnis) und ansonsten viele konzertante Messen aus der Zeit der Klassik (Mozart, Haydn und kleinerer Meister) erklingen, ist das Klangbild in evangelischen Gottesdiensten stärker durch die (teils herben und rhythmisch komplexen) Liedmelodien der Reformationszeit und durch das Neue geistliche Liedgut seit den 1960er Jahren bestimmt. Während die Katholiken in ihren Andachten herzerwärmende Lieder aus der Zeit der Romantik (19. Jh.) lieben, hatten es derartige Lieder in den evangelischen Landeskirchen schwerer und waren lange umstritten („So nimm denn meine Hände“). Während in der katholischen Messe viel auf der Orgel zur Begleitung der Ein- und Auszüge von Ministranten und Priester improvisiert wird, legen evangelische Organisten mehr Wert auf auskomponierte Choralvorspiele und große Orgelliteratur als Ausspiele. Und was die christliche Popularmusik betrifft, sind evangelische Bands in der Regel etwas näher am gerade aktuellen Sound (etwa Rap), während die katholische Szene stilistisch weithin beim Sacropop der 1980er Jahre verblieben ist. Ich mag diese Vielfalt der Klänge, zu der noch die archaisch wirkenden mehrstimmigen Gesänge der orthodoxen Kirchen und das emotionale Singen englischer Lieder der Methodisten und anderer Freikirchen dazukommen. Kirchenmusik ist heute vielfältig und zugleich ökumenisch-verbindend!
Der Autor Dr. Peter Bubmann ist ev. Pfarrer der ELKB und Professor für Praktische Theologie in Erlangen, und war lange Jahre nebenberuflich als Kirchenmusiker in evangelischen wie katholischen Gemeinde engagiert. Zwei seiner Melodien finden sich in unserem Gesangbuch (EG 571 und 632).